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„Früher haben wir das ja auch so gemacht!“ Eine kritische Auseinandersetzung am Beispiel des „Gehfrei“.

Ich lese bei Diskussionen im Internet häufig das „Argument“: „Früher war das
ja auch so und uns hat es auch nicht geschadet!“ Meist geht es dabei um das Thema Erziehung oder neues Wissen in Bezug auf Dinge, von denen man mittlerweile weiß, dass sie für Kinder ungesund sind und zumindest potenziell einen Schaden anrichten können. Dinge wie zum Beispiel ein „Gehfrei“ – also eine Apparatur mit Rollen, in die man ein Baby hineinsetzen kann und mit der es „laufen üben kann“. Heute weiß man, dass diese Geräte zu einem sogenannten Spitzfuß führen können, weil die Babys ihre Muskeln und Gelenke dort drin völlig falsch belasten, da sie körperlich eigentlich noch gar nicht so weit sind, laufen zu können (Quelle: S.49). Zudem ist es so häufig zu schweren Unfällen gekommen, weil die Kinder mitsamt dem Gehfrei zum Beispiel Treppen herunter gestürzt sind, dass diese Gerätschaften in Kanada seit 2004(!!) gesetzlich verboten sind und nicht mal mehr auf Flohmärkten verkauft werden dürfen. .

Wenn ich heute Diskussionen zum Thema „Gehfrei, ja oder nein?“ lese argumentieren viele Eltern damit, dass sie selbst als Baby ja auch in so einem Ding gesessen hätten und sie keinen Schaden davon getragen haben und sie deshalb der Ansicht sind, dass es völlig okay ist, so etwas anzuschaffen. Und vor 30 Jahren wusste man tatsächlich noch ziemlich wenig darüber, ob so etwas für ein Kind schädlich sein könnte oder nicht – es wurde schlichtweg nicht danach geforscht. Genauso, wie man in den 1920er Jahren auch noch Kokain als Medikament verschrieben hat, weil man nur die „positven“ Eigenschaften der Droge gesehen hat und die Schäden, die sie verursachen kann erst nach und nach deutlich wurden.

Heute wissen wir sowohl bei Kokain als auch beim Gehfrei, dass beide Dinge schädlich sein können – warum sollte man also auf sein Glück hoffen, statt einfach die Finger von beidem zu lassen? Warum ausprobieren oder den „Nur mal 10 Minuten sind schon nicht so schlimm“-Ansatz ausprobieren, wenn man sich doch offensichtlich schon so unsicher ist, ob dieses Gerät wirklich nicht schädlich ist, dass man dafür extra eine Diskussion im Internet startet?

Man stelle sich vor, jemand würde im Internet fragen: „Meint ihr, ich sollte mal Kokain ausprobieren? Es hat ja durchaus auch Vorteile: man kann damit abnehmen und fühlt sich viel selbstsicherer und ich bin so schüchtern.“. Wie viele Menschen würden heute noch mit „Mach ruhig, so schlimm wird es schon nicht sein, früher haben die Leute es ja immerhin sogar von ihrem Arzt verschrieben bekommen!“ darauf antworten? Und selbst wenn: so eine Argumentation könnte heute doch auch niemand mehr ernst nehmen.

Wer würde heute noch fragen, ob er sein Kind im Auto anschnallen sollte, wer würde sein Baby ohne Narkose operieren lassen, weil das alles Dinge waren, die man früher, aus Unwissenheit, halt so gemacht hat?

Können wir nicht endlich alle in 2016 ankommen und akzeptieren, dass sich die Welt – und vor allem die Forschung! – weitergedreht hat und dass es mittlerweile viele Dinge gibt, von denen man vor 30 Jahren noch nicht wusste, dass sie schädlich sind, es aber heute eben weiß?

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