Unser Kind darf selbstbestimmt Fernsehen. Das heißt, er darf sich vor den Fernseher setzen und so lange gucken, wie er möchte. Viele Menschen finden das unverständlich und weisen auf die Gefahren, die vom Fernsehen ausgehen hin um uns davon zu überzeugen, dass das, was wir unser Kind da selbst entscheiden lassen irgendwann schädlich für ihn sein wird.
Ich selbst bin 1983 geboren und mein Fernsehkonsum wurde als Kind sehr streng reglementiert. Mehr als die Sesamstraße und Sandmännchen gab es jahrelang nicht für mich. Irgendwann kamen dann an den Wochenenden so Fernsehperlen wie beispielsweise „Wetten dass…??“ und „Geld oder Liebe“ hinzu, wenn etwas entsprechendes lief. Die „coolen“ Serien durfte ich nicht gucken, zu gewalttätig fanden meine Eltern und überhaupt sei Fernsehen gucken ungesund – ich sollte besser rausgehen und spielen.
Was habe ich also getan? Ich habe mir eine Freundin gesucht, die jederzeit Zugang zu allen Medien hatte (damals waren das Fernseher, Videorekorder und ein Super-Nintendo!), bin zum spielen hingefahren und habe mir dort alles mögliche angesehen.
Als ich so ungefähr 12 wurde und mittlerweile das Satellitenfernsehen eingezogen war, habe ich mich gefühlt zwei Jahre lang zu Hause nur vor den Fernseher gehockt und meine Nachmittage damit verbracht, alles aufzuholen, was ich in den ersten Jahren „verpasst“ hatte. An alternativen Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten hat es mir nie gemangelt und auch meine Intelligenz hat wohl nicht unter dem teilweise exzessiven Fernsehkonsum gelitten.
Mit meinem eigenen Kind wurde das Fernsehen erst interessant, als wir unseren Umzug zurück nach Hamburg planten. Davor habe ich ihn kein Fernsehen gucken lassen und er hatte auch kein großes Interesse daran, wenn „die Kiste“ bei meinen Eltern oder Großeltern mal lief. Als ich anfing unsere Sachen zu packen (ich war zu diesem Zeitpunkt noch alleinerziehend) war mein Kind ziemlich genau zweieinhalb Jahre alt und ich hatte mit der erneuten Studiumsaufnahme und besagtem Umzug derartig viel um die Ohren, dass ich den Versuch wagte, mein Kind an den Bildschirm heranzuführen.
Am Anfang waren gestreamte, kurze Folgen von Shaun das Schaf (immer wieder dieselben, damit das Kind sich an die Geschichten gewöhnen kann) der Hit – und das sind sie auch heute, gut anderthalb Jahre später noch. Danach haben wir mit Folgen von Conni auf DVD weiter gemacht bis wir uns an die Folgen von Jonalu herangetastet haben. Ich war die ganze Zeit dabei und ansprechbar für mein Kind, habe erklärt und beruhigt, wenn mal etwas aufregendes dabei war. Zusätzlich habe ich von Anfang an sehr genau ausgesucht, was ich mein Kind ansehen lasse und was nicht. „Normales“ Fernsehen gab und gibt es bei uns überhaupt nicht – der Fernseher ist nicht angeschlossen – es gibt ausschließlich DVDs, Netflix, Amazon Prime und YouTube und aus diesen Kanälen sortiere ich dann auch nochmal entsprechend die Sendungen heraus, die ich für geeignet halte. Der Fernsehkonsum des Apfelkindes ist also „nur“ in Bezug auf die Zeit selbstreguliert, bei der Auswahl dessen, was er sieht, mische ich tatsächlich kräftig mit.
Und ja, ich habe zu dieser Zeit mein Kind öfter auch mal vor dem Fernseher „geparkt“ um selbst überhaupt irgendetwas zu schaffen. Das Apfelkind war zufrieden, ich konnte das notwendige erledigen – alles gut. Trotzdem gab es da in mir die Sorge: „Aber Fernsehen gucken ist ungesund, vor allem für Kinder und es macht abhängig!“
Wie ich das in solchen Fällen meistens tue, habe ich mich umgesehen und Informationen gesammelt. Fündig wurde ich zu diesem Thema in der unerzogen-Gruppe auf Facebook. Vor allem Links dazu, wie Sucht entsteht auch und das eine sichere Bindung der sicherste Schutz vor allen Arten von Süchten ist haben mir sehr weitergeholfen. Außerdem der absolut feste Glaube daran, dass Kinder in der Lage sind, sich selbst zu regulieren, wenn man eben nicht bestimmte Dinge wie Fernsehen oder Süßigkeiten zu etwas „Besonderem“ macht, dass sie dann noch viel mehr haben wollen als ohnehin schon einfach deshalb, weil eben etwas Besonderes ist.
Das hat mir die Angst, meinem Kind mit dem selbstbestimmten Medienkonsum eigentlich etwas schlimmes anzutun, natürlich trotzdem nicht sofort und komplett genommen – wie bei den meisten Ängsten braucht es Zeit, diese für sich selbst zu hinterfragen und in den Griff zu bekommen.
Am Anfang waren die bewegten Bilder natürlich der absolute Hit und das Apfelkind manchmal wirklich kaum davon abzubringen, Fernsehen zu gucken, egal was ich (aus Angst) auch alternativ angeboten habe. Das hat meine Sorge in diesen Momenten natürlich eher noch verstärkt, aber ich bin bei mir selbst geblieben und habe an meiner Angst gearbeitet, statt meinem Kind das Fernsehen zu verbieten. Und wie ich erwartet (und ein bisschen auch erhofft) hatte, hat sich der Fernsehkonsum langsam aber sicher von ganz alleine reguliert: für uns, und das Apfelkind, ist Fernsehen mittlerweile eine Beschäftigungsmöglichkeit von vielen. An manchen Tagen guckt er Nachmittags zwei oder drei Stunden Fernsehen, an anderen Tagen gar nicht oder maximal 5 Minuten Sandmännchen vor dem Schlafengehen. Dann spielen wir lieber gemeinsam, kochen, backen oder sind draußen.
Was mir zusätzlich schon sehr früh auffiel: viel Fernsehen guckt er besonders dann, wenn er kaputt/müde ist und ich mich in der selben Verfassung, zumindest früher, auch einfach aufs Sofa gelegt und berieseln hätte lassen. Ich kann also gut nachvollziehen wie es ihm in diesen Momenten vermutlich geht; was mir wiederum hilft entspannter damit umzugehen.
Insgesamt kann ich für mich nur festhalten, dass selbstbestimmer Fernsehkonsum funktionieren kann, wenn man wirklich offen dafür ist, dass selbstreguliert auch wirklich SELBSTreguliert bedeuten darf und nicht: „Mein Kind soll bitte dann mit dem Fernsehen wieder aufhören, wenn ICH Angst bekomme und MIR mulmig wird!“ und man zusätzlich bereit ist, an seinen eigenen Sorgen und Ängsten zu arbeiten.

