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Gegen den Strom schwimmen – oder – warum Sturheit manchmal hilft (Stillgeschichte von der Mama zu dem Papa)

Wir machen alles falsch. Zumindest anders, als die meisten Mitteleuropäer. Das ist anstrengend. Zum Glück war ich immer schon ein Dickkopf.

Unser Sohn, im Moment 9,5 Monate alt, kam im Geburtshaus auf die Welt. Im Krankenhaus hätte ich mich einfach nicht wohl gefühlt. Einen Kinderwagen kennt er nicht. Er wurde immer in Tuch oder Tragehilfe getragen. Schnuller haben wir zwar probiert, aber den wollte er nicht. Gewickelt wird er mit Stoffwindeln. Und natürlich wird er gestillt. Immer noch, kein Ende in Sicht. Beikost mag er gerne, aber bitte keinen Brei. Er will das essen, was die Erwachsenen am Teller haben.

Die Widerstände waren beachtlich. Mein Frauenarzt wollte mir eine Risikoschwangerschaft mit Gestose andichten, als er das Wort Geburtshaus gehört hat. Zum Glück arbeitet meine Hebamme auch im Krankenhaus und die Leute dort fanden, nach genauen Untersuchungen, dass nichts gegen eine Geburt im Geburtshaus spricht.

Der Kleine legte im Geburtshaus eine Terminlandung hin. Die Geburt war anstrengend, aber ok. Das Stillen ging leider nicht ganz so glatt. Ich habe eine große Brust mit flachen Warzen. Das war mit dem kleinen Mund meines Sohnes nicht wirklich kompatibel, also ging es erst einmal nur mit Stillhütchen.

Im ersten Moment war das für mich total in Ordnung. Nach den Aussagen meiner Mutter, dass das Stillen bei ihr ja nicht geklappt hat, wegen zu wenig Milch und bei mir sicher auch nicht gehen würde, da wir uns ja anatomisch sehr ähnlich sind, war es auch so für mich ein voller Erfolg. Ich kann stillen!

Die Ernüchterung kam später: Ganz schlimme Schmerzen beim Stillen, weiße, offene Brustwarzen. Ich probierte herum: Salben, andere Stillhütchen, nichts half so wirklich. Nach 10 Tagen war ich so fertig, dass ich meinen Mann heulend fragte ob er mich für eine schlechte Mutter halten würde, wenn unser Sohn doch ein Flaschenkind wird. Zum Glück habe ich Freundinnen mit Kontakt zu Stillberaterinnen. Am Morgen nach diesem Tiefpunkt rief ich eine Stillberaterin an.

Wir fuhren noch am selben Tag hin und bekamen viele hilfreiche Tipps. Der Kleine war ein Kneifer und sie riet uns zu einer Craniosacral Therapie. Die Therapeutin hat selbst zwei Kinder und bei beiden mit offenen Brustwarzen gekämpft. Von ihr bekam ich auch weitere wertvolle Tipps und von da an ging es bergauf. Die Schmerzen wurden weniger, ich fürchtete mich nicht mehr vor dem nächsten Stillen und konnte die Fütterungen langsam genießen. Insgeheim träumte ich davon die Stillhütchen weg zu lassen, aber der Kleine schrie bei jedem Versuch ganz erbärmlich und konnte mit meinem bloßen Busen nichts anfangen. Ich fand mich damit ab, dass wir die Dinger wohl bis zum Ende der Stillzeit brauchen würden.

Vier Monate und einen Anflug von Soor später hatte ich trotzdem langsam die Nase voll von Stillhütchen. Wir hatten gerade das liegend Stillen gelernt. Im Internet fand ich einen Artikel von Regine Gresens über asymmetrisches Anlegen, der auch bebildert war. Am selben Abend drehte sich mein Sohn mit weit aufgerissenem Mund zu mir her und ich dachte mir: Na gut, probieren wir es wieder mal, diesmal mit der neuen Technik. Es klappte auf Anhieb! Er dockte an und trank als ob er nie etwas anderes getan hätte.

Seither ist Stillen (bis auf wenige Ausnahmen) einfach nur schön. Ohne das Gefummel mit den Hütchen probieren wir neue Stellungen aus und stillen im Liegen, im Tragetuch, im Sitzen, in der Babyschale (beide angeschnallt! Große Brüste können durchaus auch praktisch sein.), in der Badewanne, im Park, im Café, im Restaurant, am Christkindlmarkt… einfach überall. Blöde Kommentare musste ich mir bis jetzt keine anhören. Gelegentliche böse Blicke, aber das meiste Feedback ist positiv. Das hat mich einerseits überrascht, andererseits freut es mich sehr.

Tja, und seit 7. Jänner ist unsere Stillbeziehung wieder anders geworden. Denn auch da sind wir anders als andere Familien. Ich arbeite Vollzeit, mein Mann bleibt zu Hause beim Kind. Zumindest bis der Kleine 3 Jahre alt ist. Vorher wollen wir ihn auf gar keinen Fall in den Kindergarten geben.

Zum Glück hab ich einen sehr verständnisvollen Vorgesetzten. Ich gehe am Vormittag einmal abpumpen, die Milch steht dann am nächsten Tag beim Kleinen am Speiseplan. Mein Mann gibt sie ihm entweder im Glas oder mit einer Sportflasche. Babyflaschen haben wir nach wie vor keine. Zusätzlich gibt es Brot, Obst, Gemüse und was auch immer an Essen im Haus ist. Wenn ich am Nachmittag heim komme, will der Kleine natürlich sofort stillen und tut das dann auch ausgiebig. Für mich ist das eine willkommene Ausrede nach der Arbeit erst mal in Ruhe am Sofa zu sitzen und zu entspannen.

Also auch das geht. Frau kann stillen, Vollzeit arbeiten und einen Hausmann und Vater daheim haben, der sich liebevoll um das Kind kümmert. Die beiden unternehmen viel zusammen. Gehen in Baby-, Still- und Tragegruppen, treffen sich mit befreundeten Müttern und gehen natürlich auch in den Baumarkt. Ein paar ‘typische Männeraktivitäten’ müssen schon auch sein.

Fazit: Wir machen alles anders und bekommen sehr viel positives Feedback dafür. Klar, der erste Tag ohne Baby war hart. Aber es wurde mit jedem Tag besser. Ich muss nicht jede Minute mit ihm verbringen, dafür bin ich in der morgens, abends und am Wochenende für ihn da. Darüber, wie oft er in der Nacht stillen möchte, breiten wir hier mal den Mantel des Schweigens. Jedenfalls mehr wie einmal…

Trotzdem ist es anstrengend gegen den Strom zu schwimmen. Auf meiner Schulter sitzt ein Gnom und flüstert immer wieder: ‘Du solltest bei deinem Baby sein. Echte Mütter gehen nicht arbeiten.’ und ähnliche Klischees. Da ist es wichtig, einen Partner zu haben, der total dahinter steht und einen immer wieder bestärkt und die Entscheidungen mit trägt. Wenn ich dann sehe, wie begeistert unser Sohn mit seinem Papa spielt, Aufmerksamkeit vom Papa einfordert und trotzdem auch ein Mutti-Kind ist, dann bin ich beruhigt und freu mich dran, denn unser Weg ist für uns genau der Richtige.

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