Warum mein Kleinkind nicht teilen muss.
Stell dir vor du sitzt in einem Café. Auf deinem Tisch liegen deine Zeitschrift, dein Smartphone und dein Laptop an dem du gerade arbeitest oder Weihnachtsgeschenke für deine Familie bestellst. Neben dir auf einem der Stühle steht deine Handtasche. Natürlich hast du dir auch ein Getränk und ein Stück Kuchen bestellt.
Du bist hochkonzentriert und völlig in deinen Laptop vertieft. Als du zwischendurch einmal hochschaust, weil einem Kellner ein Glas zu Bruch gegangen ist fällt dir auf, dass dich eine Frau drei Tische weiter sehr intensiv mustert. Als sie bemerkt, dass du sie wahrgenommen hast, steht sie auf und kommt zu dir herüber. Sie stellt sich, ohne ein Wort zu sagen neben dich und guckt dir bei deiner Tätigkeit zu. Da du einfach in Ruhe weiter arbeiten möchtest, ignorierst du sie höflich und widmest dich wieder deinem Laptop. Nach kurzer Zeit setzt sie sich zu dir an den Tisch und betrachtet die Dinge die du darauf abgelegt hast.
Dann nimmt sie sich, immer noch wortlos, deine Zeitschrift und fängt an, sie durchzublättern. Da sie anscheinend nichts interessantes darin findet, greift sie jetzt nach deinem Smartphone. Das hast du zwar durch einen Code gesichert, aber die fremde Frau vertreibt sich trotzdem eine ganze Weile die Zeit damit, dass sie versucht, diesen zu knacken. Als all ihre Versuche erfolglos bleiben wendet sie sich irgendwann deiner Handtasche zu, öffnet sie und fängt an, darin herum zu wühlen.
Klingt das für dich nach einem realistischen Szenario?
Vermutlich nicht, denn an irgendeinem Punkt hättest du die Frau wahrscheinlich angesprochen, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dies deine Sachen sind und du nicht möchtest, dass sie diese einfach anfasst und benutzt. Überlege einmal kurz für dich, an welchem Punkt das gewesen wäre. Schon, als die Frau sich neben dich gestellt hat? Als sie sich wortlos an deinen Tisch gesetzt hat? Als sie nach deiner Zeitschrift gegriffen hat? Oder erst als sie versuchte dein Smartphone zu entsperren?
Dieses „unrealistische Szenario“ spielt sich täglich tagtäglich tausende Male ab – auf Spielplätzen, in Krabbelgruppen und bei privaten Treffen von Müttern mit kleinen Kindern. Und ganz ehrlich: ich kann diese Mütter verstehen! Denn es geht 1. nicht um ihre eigenen Sachen sondern „nur“ um das Sandspielzeug ihrer Kinder und nicht etwa um Handtasche und Smartphone und 2. und viel wichtiger: wer möchte als Mutter schon den Verdacht aufkommen lassen, dass man sein eigenes Kind zum „Geizkragen“ erzogen hätte, der all seinen Besitz für sich alleine hortet und damit vielleicht irgendwann vereinsamt (in der schlimmstmöglichen Mutterphantasie)?
Und ich gebe offen zu, dass auch ich schon ab und zu mal in diese Falle getappt bin.
Das passiert mir besonders dann, wenn ich eigentlich gerade mit etwas anderem beschäftigt bin, als mit meinem Kind, das in Ruhe vor sich hin spielt. Das nächste zu schreibende Buch, der nächste Artikel, e-Mails die ich noch schreiben muss und im Kopf vorformuliere während ich nebenbei schon mal mental die Einkaufsliste anfange. Man hat ja mit Kind so selten mal ruhige Minuten für sich, in denen man solche Dinge planen kann, also will jede freie Minute effektiv genutzt werden!
Trotzdem ist es so, dass die Spielsachen deines Kindes nun mal ihm gehören, dass sie sein/ihr Besitz sind und das man diesen mit Fremden – und selbst mit Bekannten – nicht einfach mal eben so teilt.
„Aber mein Kind muss doch lernen, auch mal etwas abzugeben, sonst wird es doch total unsozial!“denkst du dir jetzt vielleicht. Ja, natürlich möchten wir alle gerne, dass unsere Kinder sozial und vor allem auch sozial akzeptiert werden. Aber das funktioniert, wie in allen Belangen der Kindererziehung, am allerschlechtesten mit Zwang oder ewigem erklären und überreden.
Und wie lernt dein Kind nun das Teilen?
Dein Kind wird teilen lernen – wenn du es ihm vorlebst. Was nicht bedeuten soll, dass du jetzt plötzlich anfangen musst, deine Besitztümer mit völlig Fremden zu teilen. Es reicht völlig aus, deinem Kind dies im Familienkreis in eurem Alltag vorzuleben. Und wenn es irgendwann so weit ist und nachvollziehen kann, wie man sich fühlt wenn man gerne etwas hätte, das jemand anderes gerade hat( was ungefähr mit 6 Jahren der Fall ist, wenn die Empathiefähigkeit deines Kindes sich so weit entwickelt hat) dann wird es von ganz alleine anfangen zu teilen – in seinem Tempo, seinem Charakter entsprechend und ganz ohne Zwang.